Die österreichischen Militärmärsche

a) Marschformen

Bedingt durch die in den Exerzier-Reglements der k.k. Armee festgelegten verschiedenen Schrittgattungen, zu denen auch eine ihrem Zeitmaß entsprechende Marschmusik ausgeführt werden mußte, unterschied man Märsche verschiedenen Tempos. Joseph Fahrbach führte in seiner „Organizzazione dellamusicamilitare austriaca" folgende Marschtypen an:

Der Ordinair-Marsch, im 4/4 Takt (95 Schritte in der Minute) auf einen Takt 2 Schritte; er dient für feierliche Gelegenheiten, sein Charakter ist Wurde und Festigkeit.

Der Manövrier-Marsch im 6/8 Takt 108 Schritte in der Minute auf jeden Takt 2 Schritte; auch „Reisemarsch" genannt. Sein Charakter ist heiter und von lebhafter Bewegung. Er dient besonders dazu, um die Truppe zur Kaserne zu begleiten. In letzter Zeit spielt man statt dessen auch Polkas in 2/4 Takt.

Der Dopplier-Marsch, im 2/4 Takt (120 Schritte in der Minute) dient nur für militärische Übungen (Schnellschritt).

Nach dem Jahre 1851 blieb nur noch eine Schrittgattung bestehen, der bisherige Manövriermarsch, während der ehemalige Doppliermarsch weiterhin nur noch unter der Bezeichnung „Schnellschritt" bei Exerzierübungen Verwendung fand; das nunmehr eingeführte Hornsignal „Schnellschritt" war dem bisher bei den Jägern gebrauchten „Doppliermarsch" entnommen.

Wie Joseph Fahrbach berichtet, wurden schon zu seiner Zeit (1845) statt Manövriermärschen im 6/8 Takt auch Polkas im 2/4 Takt gespielt, was erkennen läßt, daß sich aus dieser Marschform die Märsche im Allabreve-Takt entwickelten, wie wir sie aus unserer Zeit kennen; übrigens waren auch schon zur Zeit der verschiedenen Schrittgattungen in der Marschliteratur die „Manövriermärsche" am häufigsten anzutreffen gewesen.

Hatten noch in den vierziger Jahren die Militärkapellmeister ihre für die verschiedenen Zeitmaße komponierten Märsche nebst dem Titel meist auch mit der betreffenden Schrittbezeichnung, wie „Defiliermarsch im Manövrierschritt", „Defiliermarsch im ordinaire Schritt" usw. versehen, so kam nach 1851 für den allein noch bestehen gebliebenen Manövriermarsch eine solche Bezeichnung - als nicht mehr notwendig - von selbst außer Gebrauch. Seither versteht man unter einem Militärmarsch eben nur noch die uns heute bekannte Marschform. Als sich die Militärmusikbanden in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auch an das Spielen von Opernmusik usw. wagten, wurde es Sitte, Opernmelodien zu Märschen zu verarbeiten, besonders die Kapellmeister jener Regimenter, die in den damals zu Österreich gehörigen italienischen Ländern, wo bekanntlich die Oper in vollster Blüte stand, garnisonierten, schrieben viele solcher Opernmärsche, die meist auch den Titel der betreffenden Oper führten, es gab „Ernani"-, „Lombardi"-, „Troubadour"- und „Rigoletto"-Märsche u. dgl. mehr. Hanslick zieht gegen diese Verballhornung der Opernmelodien energisch zu Felde: „Am unschicklichsten erscheint uns die Verwendung von Opernthemen für Militärmärsche. Theatralisches Raffinement und weibische Sentimentalität dringen damit in die Marschmusik, welche immer die Kraft gesunden männlichen Muthes athmen soll; - von der musikalischen Verrenkung, welche die Originalmotive dadurch erfahren, gar nicht zu reden. Zehnmal besser als diese opernhafte Empfindelei ist die etwas leichtfertige Lustigkeit, die wir häufig in den Märschen österreichischer Regimenter antreffen. Der Übergang von der ehemaligen gravitätischen Würde zu tanzartiger kecker Beweglichkeit erscheint in unsern Märschen fast ausnahmslos vollzogen." "'

Auch Tanzmelodien, nach denen berühmte reisende Tänzerinnen ihre Produktionen ausführten, wurden häufig zu Militärmärschen verarbeitet; wie der preußische Musikmeister Carl Neumann aus der von der Tänzerin Pepita getanzten „Madrilena" einen „Pepita-Marsch" arrangierte, so verarbeitete der österreichische Armeekapellmeister Andreas Leonhardt, der schon als seinerzeitiger österreichischer Regimentskapellmeister in Italien zahlreiche Opernmärsche verfaßt hatte, die von der berühmten Taglioni getanzte „Seguidilla" zu einem „SiguidillaMarsch".

Märsche dieser Art waren indessen mehr als modische Zeiterscheinung zu werten, hingegen lag der Typus des richtigen österreichischen Militärmarsches, wie er sich dann im Lauf des 19. Jahrhunderts entwickelte, in einer anderen Eigenschaft begründet; so wie einst auf dem musikfruchtbaren Boden Wiens, dem „Schmelztiegel der Nationen", sich bodenständige Ländlerweisen mit böhmischen Polkaterzen magyarischen und südlichen Musikelementen vermischten, und als Synthese dieser wunderlichen Vielfalt schließlich die seither weltberühmt gewordene „Wiener Musik" entstand, so ist auch die melodische Entwicklung des österreichischen Militärmarsches auf ähnliche Art zu erklären. Dank der kompositorischen Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit der Militärkapellmeister fanden Tonempfinden und Volksmusikgut all der vielen in der Monarchie lebenden Völkerschaften in die österreichischen Militärmärsche Eingang. Der aus Böhmen stammende Militärkapellmeister komponierte ebenso gut einen Tiroler- oder steirischen, wie der aus Wien stammende einen ungarischen, kroatischen oder bosnischen Marsch. Karl Komzak, in Böhmen geboren, wurde zum vollendeten Repräsentanten des musikalischen Wienertums, bereicherte die Wiener Musik um zahlreiche geradezu typische Werke und galt als vorbildlicher Interpret Strauß'scher Walzer. Der berühmte österreichische Militärkapellmeister war gewissermaßen die Inkarnation deutschen und böhmisch-slawischen Musikempfindens, so wie der österreichische Militärmarsch eine klingende Synthese all der vielen in sich aufgenommen, rassisch ganz verschiedenen musikalischen Elemente war.

War ansonsten in der Donaumonarchie der Nationalitätenstreitigkeiten kein Ende, so gab es im Spielen von Militärmärschen eigentlich keinerlei nationale Engherzigkeit. In den Marschbüchern der Militärkapellen standen der „Csebogar indulo", der „Jelacic-Marsch", der „Slata Praha" (Goldenes Prag) und der „Doppel-Adler"-Marsch friedlich nebeneinander und in Budapest konnte man den „Vindobona"-Marsch ebenso hören wie in Prag den „Hoch Tirol" und in Innsbruck oder Graz den „Eljen a haza"-Marsch. Und alle zusammen waren sie „österreichische" Militärmärsche, hervorgegangen aus der dem musikträchtigen deutschen Kulturboden Wiens und Prags entwachsenen österreichischen Militärmusik.

Ein Vergleich mit den Militärmärschen anderer, nur eine Nation in sich schließender Staaten zeigt am besten den Unterschied auf; so wird ein italienischer Militärmarsch immer nur italienisch, ein französischer nur französisch sein. Der österreichische Militärmarsch hingegen war deutsch, böhmisch, ungarisch, slowakisch etc. zugleich, ein Konglomerat der vielen im Laufe der Zeit in sich aufgenommenen melodischen Elemente. Und gerade das scheint seine Stärke gewesen zu sein: die österreichischen Militärmärsche gefielen überall und gleich der Wiener Musik fanden viele davon ihren Weg über den ganzen Kontinent und auch nach Übersee.

Über die Wesenszüge der österreichischen Militärmärsche ist bereits vieles geschrieben worden, ohne daß jedoch damit eine auch nur einigermaßen befriedigende und erschöpfende Darstellung der spezifisch musikalischen Charakteristika versucht worden wäre. Es blieb bisher meist bei belletristischen Andeutungen über die Eigengesetzlichkeit und Eigenständigkeit der österreichischen militärischen Marschmusik, deren musikalische Kriterien jedoch wissenschaftlich noch gänzlich unerforscht sind. Auf die Differenziertheit zwischen - um im deutschsprachigen Raum zu bleiben - etwa dem preußischen und dem österreichischen Militärmarsch wurde wiederholt hingewiesen, eine systematische vergleichende Arbeit darüber steht allerdings immer noch aus. Eduard Hanslick, einer der rigorosesten Kritiker und brillantesten Stilisten seiner Zeit, hat zu diesem Phänomen bereits 1853 andeutungsweise Stellung genommen: „In der That liegt in dem hüpfenden Tanzcharakter, welcher die beiden Strauß und ihre zahlreichen Nachahmer in die Märsche gebracht haben, die Gefahr, daß diese militärische Musik ganz aus der Sphäre kräftigen Ernstes herausgedrängt werde. Bei dem frischesten Marsch sollte man nie vergessen, daß es Krieger sind, die sich ihn aufspielen. Wenn der Soldat zum Tanz geht, schnallt er den Säbel ab: der Marsch soll unter allen Umständen bewaffnete Musik bleiben. Zu dieser Beziehung ist mir der mehr feierliche und würdevolle Charakter der preußischen Märsche, namentlich in der Cavallerie, aufgefallen. Da herrscht noch (im Gegensatz zu unseren Märschen) der Viervierteltakt vor dem Zweivierteltakt, die längere, gebundene Melodie vor dem hüpfenden Polka-Rhythmus, die Baßbegleitung in Viertelnoten vor der in Achteln. Ein fast stereotyper, an die Polonaise-Cadenz mahnender Schlußfall hält mit etwas gravitätischer Würde auf der vorletzten Note inne. Dieser feierlichere Ausdruck der preußischen Parademärsche wird durch einen Bestandtheil ihrer Reitermusik wesentlich unterstützt, welchen wir nicht besitzen, es sind die Heerpauken.

Der „leichte, fröhliche Schwung", "' der die österreichischen Militärmärsche auszeichnete, sichert seine weltweite begeisterte Aufnahme. Selbst von den Militärkapellen der nach 1918 errichteten „Nachkriegsstaaten" wurden viele österreichische Militärmärsche weiterhin gespielt und auch die österreichische Besetzung oder Aufstellung oft unverändert übernommen.

Die militärische Handhabung der österreichischen Infanteriemusik war denkbar einfach und sehr zweckmäßig, sie fand daher - wie auch die Besetzung - bei sämtlichen Bürgerkorps und sonstigen uniformierten Vereinskapellen u.dgl. im Gesamtgebiet der Monarchie Eingang und blieb auch nach dem Jahre 1918 in der Militärmusik der sogenannten Nachfolgestaaten überall weiter bestehen.

Vor Beginn eines jeden Marsches wurde „eingeschlagen", dies geschah in der Weise, daß der „kleine Tambour" der Musik auf ein Zeichen des vor der Musik marschierenden Regimentstambours den Infanterie-Fußmarsch (den ehemaligen „Manövriermarsch") zu schlagen begann, im 7ten Takt setzten große Trommel und Cinellen mit ein:

Im folgenden Takt begann die gesamte Musik mit dem Spiel des Marsches.

Diese Einführung bestand wohl schon, seit das türkische Schlagwerk Eingang gefunden hatte. In früheren Zeiten wurde wohl mit dem „Füsiliermarsch" eingeschlagen, da der „Manövriermarsch" für kleine Trommel - später als Infanteriefußmarsch bezeichnet - erst um etwa 1840 herum von dem Kapellmeister des 19. Infanterie-Regiments (HessenHomburg), Andreas Nemetz (1799 - 1846), eingeführt wurde.

Bei den Tiroler Kaiserjäger-Regimentern wurde von den MelodieBlechblasinstrumenten der Musik „eingeblasen", und zwar mit dem bekannten Fußmarsch für Signalhorn.

Bei fast allen Regimentern wurde die große Trommel auf einem, von einem Pony gezogenen kleinen Wagen bei Ausmärschen mitgeführt. In füherer Zeit hatte man dazu auch Bernhardinerhunde verwendet; doch war man bald zu den geduldigen und weniger lärmempfindlichen Ponys übergegangen. Als bei der Schlacht bei Königgrätz 1866 bei Rosberitz der Trommelwagen des 77. österreichischen Infanterie Regiments samt Trommel von Soldaten des ostpreussischen Infanterie Regiments Nr. 43 erbeutet und als Siegstrophäe mit in die Heimatgarnison Königsberg in Preußen gebracht worden war, erhielt mit königlicher Kabinettsorder vom 9. März 1867 dieses preußische Regiment als einziges in der preußischen Armee die Auszeichnung, die österreichische „Pauke" samt Wagen und Hund auf immerwährende Zeiten führen zu dürfen.

Im altösterreichischen Heer hing demgegenüber die Ausübung dieser Gepflogenheit niemals von einer eigenen allerhöchsten Bewilligung ab, sondern lediglich davon, ob ein geeignetes Pferd zur Verfügung stand; hatte man keines, so mußte die Trommel, wie es bei großen Paraden sowieso geschah, vom „großen Tambour" getragen werden.

 

b) Die Marschmusik - Aufstellung

Die Aufstellung der Musikkapellen erfolgte im k.u.k. Heer nach musikalischen Prinzipien, nicht wie anderswo nach rein militärischen Gesichtspunkten. Die Kapellen marschierten - je nach Stärke - in Reihen von 6 - 10 Mann, wobei in den vorderen Reihen die Sopran- und Melodie-Instrumente, in den mittleren und rückwärtigen Reihen Begleitund Füllinstrumente (Trompeten, Hörner und Posaunen) auf dem rechten -Flügel Tenöre, Euphoniums und Bässe sowie ganz rückwärts die Schlaginstrumente postiert waren. Diese sinnvolle Anordnung war

wie auch die Besetzung - eine alte, ungeschriebene Konvention und wurde mit ganz geringen Abweichungen bei allen Regimentern gleich gehandhabt, ohne daß je irgend eine bestimmte Vorschrift hiefür bestanden hätte. Eine eigene Paradeaufstellung oder ähnliches gab es nicht, stets stand und marschierte die Musik in der vorhin beschriebenen Weise, bei Paraden oder beim Straßenmarsch, mochte die nachfolgende Truppe nun in Doppelreihen oder in breiter Front marschieren.

Die Musik auf Kosten des guten Zusammenklanges gleich der Truppen in Doppelreihen marschieren zu lassen, wäre für die in erster Linie auf musikalischer Grundlage beruhende österreichische Militärmusik wohl niemals in Frage gekommen.

 

c) Die Defilierung

Zur Defilierung wurde an der Spitze des Regiments mit klingendem Spiel anmarschiert; knapp vor Erreichung des Aufstellungsplatzes - gegenüber dem die Defilierung abnehmenden Offizier - erfolgte während des Spiels auf ein Zeichen des Regimentstambours eine Wendung in Richtung des Aufstellungsplatzes, worauf nach einigen Schritten in diesen eingeschwenkt wurde.

Eigens für jedes Regiment festgelegte Defilier-Märsche gab es im Heer der k.u.k. Donaumonarchie "' eigentlich nicht; die im Jahre 1895 vom Reichskriegsministerium in einer Sammlung herausgegebenen Militärmärsche dienten mehr der Traditionspflege als zur praktischen Anwendung als Defiliermärsche. Freilich bildete sich bei vielen Regimentern die Gepflogenheit, stets nach einem bestimmten Marsch zu defilieren, oder aber es bestimmte der Regimentskommandant einen ihm zusagenden Marsch als Defiliermarsch; sein Nachfolger ebenso und so wechselten mit den Kommandanten auch die Klänge, nach denen die Regimenter jeweils defilierten.

 

d) Die Regimentsmärsche

Viele Regimenter hatten auch einen eigenen, meist vom Regimentskapellmeister komponierten und mit der Regimentsnummer, dem Namen des Inhabers oder des Kommandanten benannten Regimentsmarsch, nach dessen Klängen meist auch defiliert wurde. Diese Regimentsmärsche wurden aber auch von den Kapellen der anderen Regimenter gespielt, viele davon wurden weltberühmt und trugen den Namen ihres Regiments mit in alle Welt hinaus. Zu den bekanntesten Regimentsmärschen zählen der „Deutschmeister-Regimentsmarsch" von W.A. Jurek (Infanterie Regiment Nr. 4), der 84-er Marsch von Karl Komzak, der 92-er Marsch von Joh. Nowotny („Aller Ehren ist Österreich voll"), der 94-er Marsch von Josef Matys, der 78-er Marsch von Anton Rosenkranz, der 47-er von J.F. Wagner, der „Hessen" - (14-er) Marsch von K. Pernklau, der „Rainer" (59-er) von H. Schmid, der 73-er (Egerländer) von W. Kopetzky, der Castaldo (28-er) Marsch von R. Novacek, der 42-er (Wagram-Marsch) von J. Wiedemann und der Khevenhüller (7-er) Marsch von Anton Fridrich.

Noch während des Ersten Weltkrieges entstand -- wohl als letzte Komposition dieser Art der 106-er Regimentsmarsch von Franz Lehar, eine Widmung an das im Jahre 1917 errichtete und von seinem Bruder, dem damaligen Oberst Anton (Freiherr von) Lehar befehligte Infanterie-Regiment Nr. 106.


Übernommen von Reinhard Wieser

 

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