Die Glanzzeit der Österreichischen Militärmusik

1866 - 1918

 

Durch die Auflösung der Musikbanden bei den Waffengattungen Jäger, Artillerie und Kavallerie war die Infanterie, der nun auch die zahlreichen Musiker der aufgelösten Kapellen zuströmten, zur alleinigen Trägerin der österreichischen Militärmusik geworden. Im Vergleich zu der früher bestandenen Dienstzeit von 14 bzw. 8 Jahren ließ nun die mit Staatsgesetzblatt vom 5. Dezember 1868 eingeführte allgemeine Wehrpflicht mit nur mehr dreijähriger Dienstzeit die Heranbildung brauchbarer Militärmusiker wenn nicht gerade unmöglich, so doch sehr schwierig erscheinen. Es mußte nun eine Einrichtung geschaffen werden, um herangebildete Musiker länger als nur 3 Jahre in den Regimentskapellen behalten zu können. So wurde mit Zirkular-Verordnung vom 28. Oktober 1869 die Institution der Musik – Eleven ins Leben gerufen, derzufolge musikkundige und begabte Knaben schon mit 15 Jahren zu den Regimentskapellen aufgenommen werden konnten. Sie wurden in der Kapelle zu Musikern herangebildet, ihre als Eleven zugebrachte Zeit galt aber noch nicht als aktive Militärdienstleistung. Diese begann für sie in der Regel mit dem 17. Lebensjahr, nachdem die Eleven assentiert und vereidigt worden waren. Nach einer darauf folgenden dreijährigen aktiven Dienstleistung hatten sie weiterhin für jedes als Eleve zugebrachte Jahr ein Jahr nachzudienen. Ein als Eleve eingetretener Militärmusiker diente somit insgesamt etwa neun Jahre bei der Regimentskapelle. Ähnliche Einrichtungen hatten bereits früher bestanden, wie beispielsweise in der 1822 bewilligten Aufnahme von 15 jährigen Knaben als Tamboure. Der Unterschied zwischen den damals zur Musik aufgenommenen Tambour-Knaben und den nunmehrigen Musikeleven lag hauptsächlich darin, daß die einstigen Tambourknaben gleich von ihrem Eintrittstage an Soldaten bzw. Tambours waren, während die nunmehrigen Musikeleven als solche noch nicht in aktiver Militärdienstleistung standen (diese begann für sie erst nach Ablauf ihrer Elevenzeit). Die Musikeleven trugen militärische Uniform und erregten damit bei Ausmärschen und Konzerten stets das Interesse schaulustiger Zuhörer; auf Märschen brauchten sie keinen Tornister zu tragen.

Schon in früheren Zeiten, da die Nachwuchsfrage noch nicht so akut gewesen war, hatten verschiedentlich Projekte zur Errichtung von Anstalten für die Ausbildung von Militärmusikern bestanden. So etwa hatte im Jahre 1851 der Prager Artilleriekapellmeister F.W. Swoboda einen Verein zur Beförderung der Militär-Musik initiiert, dessen Militärmusikschule nach Swobodas Tod (1856) der Prager Militärkapellmeister, Musikdirektor Johann Pavlis sen. (1819 - 1880) weiterführte. Obwohl aus dieser Anstalt, die nach dem Tode Pavlis von dessen Sohn geleitet wurde und bis 1895 bestand, namhafte Militärkapellmeister und zahlreiche Musiker - namentlich Blechbläser - hervorgingen, reichte indessen dieses kleine Institut allein wohl nicht aus, um für die gesamte Militärmusik den nötigen Nachwuchs zu schaffen. In Wien bemühte sich anfangs der fünfziger Jahre der Professor der Trompetenklasse am Konservatorium und ehemalige Kavallierie-Kapellmeister Cölestin Netrafa um die Errichtung einer Militärmusikschule. In einer 1857, in damaligen Musikzeitungen, veröffentlichten Abhandlung „Die österreichische Militärmusik, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" verfaßt von dem Kapellmeister des 9. österreichischen Infanterie Regiments E. Urban, wurde gleichfalls die Errichtung einer eigenen Militärmusikschule angeregt.

Alle diese Anregungen kamen also stets aus den Reihen der Militärmusik selbst. Das bedeutendste Projekt dieser Art war indessen jenes, um dessen Realisierung sich der damals in Wien weilende Komponist Wilhelm Westmeyer zu Ende des Jahres 1869 bemühte.

Angesichts der durch die Einführung einer achtjährigen Dienstzeit eingetretenen Sorge um den Militärmusiker-Nachwuchs, reifte in Westmeyer der Entschluß zur Gründung einer Armee-Musikschule. Gemeinsam mit dem Militärkapellmeister des in Wien garnisonierenden 49. Infanterie-Regiments Freiherr von Hess, Michael Zimmermann, der auch als Leiter der Schule ausersehen war, arbeitete er einen genauen Entwurf seines Projekts aus, den er unter dem Titel „Ein Armee-MusikKonservatorium" auch in Druck veröffentlichte. Der von genauester Kenntnis militärischer Fragen zeugende und durchaus realisierbare Plan fand ungeteilten Beifall, sowohl bei den maßgebenden Stellen im Reichskriegsministerium, als auch bei zivilen Musikfachleuten, wie dem Wiener Hofopernkapellmeister Johann Herbeck und dem sächsischen Staatskapellmeister Julius Rietz sowie anderen an der Militärmusik interessierten Kreisen. Dank den idealen Bemühungen Westmeyers stellten hochherzige Gönner eine Summe von 60.000 fl. zur Verfügung, Musikinstrumente und Noten wurden gespendet, ein reicher Patriot aus Salzburg, Baurat von Schwarz, vermachte dem Reichskriegsministerium ein zur Errichtung der Schule geeignetes Haus mit Garten in Wien. Er wurde wohl dafür mit dem Freiherrn-Titel ausgezeichnet, das Projekt einer österreichischen Armee-Musikschule aber sollte niemals realisiert werden.

Indessen verblieb für den Militärmusik-Nachwuchs weiterhin die Einrichtung der Musikeleven, sowie die schon erwähnte Schule des Militärmusikvereines in Prag, bekannt unter der Bezeichnung „Prager Elevenschule".

Daß die Militärkapellen in dieser Zeit nichts von ihrer Anziehungskraft und ihrem musikalischen Niveau einbüßten, war sicherlich nicht zuletzt der Tüchtigkeit ihrer Kapellmeister zu danken. Außer den schon als Eleven eingetreten blieben auch viele jener Musiker, die im Wege der gesetzlichen Assentierung eingerückt waren und ihre dreijährige Dienstzeit in der Regimentskapelle abgeleistet hatten, gegen Gewährung von Zulagen seitens des Offizierskorps weiterhin beim Militär. Sie konnten sich in diesem Falle von Jahr zu Jahr weiter verpflichten, während sich Hautboisten in früherer Zeit auch bei neuerlicher Dienstannahme als „Supplent" zu einer abermaligen 14 bzw. 8 jährigen Dienstzeit bereit erklären mußten. Da sich diese sogenannten „Längerdienenden" das Regiment, in dem sie weiterdienen wollten, selbst auswählen konnten, so gingen sie natürlich zu jenen Regimentsmusiken, wo ihnen jeweils die höhere Zulage geboten wurde. Das waren namentlich die jeweils in den Großstädten Wien, Prag, Budapest u.a. garnisonierenden Regimenter, da dort der Musikfond durch die vielen Konzerteinnahmen der Regimentsmusik entsprechend zahlungskräftig war.

Fast alle diese Längerdienenden trugen zwar die Feldwebel-Charge, waren jedoch meist nur „Titular-Feldwebel", d.h. sie waren, da es bekanntlich bei jeder Regimentsmusik nur einen wirklichen Feldwebel gab, in Wirklichkeit und dem Sold nach meist nur Gefreite und Korporäle mit Feldwebel-Distiktionen. Die Musikkapellen der jeweils in den Großstädten garnisonierenden Regimenter bestanden oft zum Großteil aus solchen Längerdienenden.

Die Einrichtung der Musikeleven blieb in der österreichischen Militärmusik fortan bestehen bis in die Zeit des ersten Weltkrieges. Sie mag sich immerhin bewährt haben, denn vorzügliche Musiker und zahlreiche spätere Militärkapellmeister sind aus ihr hervorgegangen.

Trotz der Nachwuchssorgen besaß die österreichische Militärmusik weiterhin hohes künstlerisches Niveau und Ansehen, was die abermalige Zuerkennung des 

1. Preises bei der (anläßlich der Feier zur 50. Wiederkehr des belgischen Unabhängigkeitstages) am 25. Juli 1880 während der Weltausstellung in Brüssel stattgefundenen Militärmusik-Konkurrenz nachdrücklich dokumentiert. Zur Teilnahme an diesem Preisspiel war die Musikkapelle des 36. österreichischen Infanterie-Regiments in Prag ausersehen und der Wiener Hofopern-Kapellmeister Hans Richter beauftragt worden, aus einer Reihe zur Prüfung angetretener Militärkapellmeister as den zur Entsendung nach Brüssel geeigneten Dirigenten auszuwählen. Die Wahl fiel auf den Kapellmeister des 25. Infanterie Regiments Alfons Czibulka, unter dessen Leitung sich die auf 80 Mann verstärkte Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 36 in Brüssel erfolgreich behauptete. Neben dem vorgeschriebenen Wertungsstück, Berlioz` „Fehmrichter"-Ouverture, brachte die Kapelle zwei selbstgewählte Tonstücke, „Rhapsodie hongroise" in F-moll von Franz Liszt, sowie Triumphmarsch und Ballettmusik aus „Aida" von Giuseppe Verdi zur Aufführung.

Der Erfolg der österreichischen Militärkapelle in Brüssel war - auch außerhalb des Konkurrenzspiels - ein ungeheurer; überall wo die Kapelle auftrat wurde sie stürmisch akklamiert und mit Beifall und Blumen förmlich überschüttet. Am belgischen Königshofe feierte man eben die Verlobung der belgischen Prinzessin Stefanie mit dem österreichischen Kronprinzen Rudolf, der auch dem erfolgreichen Kapellmeister Alfons Czibulka einen wertvollen Brillantring verehrte. Von Kaiser Franz Josef I. wurde Czibulka durch die Verleihung des goldenen Verdienstkreuzes mit der Krone ausgezeichnet.

Die mit 1. Jänner 1883 vollzogene Errichtung von 22 neuen Infanterie-Regimentern (Nr. 81 - 102) bedeutete nicht nur eine Vermehrung der Zahl der österreichischen Militärkapellen, sondern charakterisiert auch die letzte glanzvolle Periode in der Geschichte der österreichischen Militärmusik. Im Jahre 1889 wurde ein neuer - zum Regimentsstab zählender - Musikstand festgesetzt, der, aus dem Regimentstambour, einem Feldwebel, vier Korporalen, fünf Gefreiten, dreißig Infanteristen und zwei Eleven bestehend, bis zum Ende der k.u.k. Armee beibehalten wurde. Auch in dieser letzten Phase der Militärmusik bei der österreichischen Infanterie wurde deren Niveau und Ansehen vornehmlich durch profilierte Musikerpersönlichkeiten in Kapellmeisteruniform geprägt. Kapellmeister und Musiker aller - auch der ungarischen, kroatisch-slawonischen und galizischen Regimenter - stammten fast zur Gänze aus den deutschen und böhmisch-mährischen Ländern der Monarchie ab , zumal die in diesen Ländern vorherrschende Musikbegabung und Vorliebe für Blasinstrumente fraglos mit die Ursache des beachtlichen künstlerischen Standes der österreichischen Militärmusik darstellte. Glänzten in der Militärmusik um die Mitte des 19. Jahrhunderts und in der folgenden Zeit berühmte Namen wie Philipp Fahrbach, Sawerthal, Kaschte, Joseph Gungl, Keler Bela, Ludwig Stasny, Anton Rosenkranz, Anton Faulwetter, Michael Zimmermann, Josef Wiedemann usw. so waren es in den achziger Jahren Karl Komzak, Alfons Czibulka, JX. Kral, Franz Lehar sen., C.M. Ziehrer, J.F. Wagner und andere, deren Namen und Leistungen der österreichischen Militärmusik - namentlich in Wien - künstlerisches Ansehen verliehen. Unter diesen genannten Militärkapellmeistern, deren Aufzählung sich noch mühelos seitenweise fortsetzen ließe a' , war Karl Komzak jun. (18501905) der seit Aufstellung des in Wien garnisonierten Infanterie Regiments Nr. 84 am Dirigentenpult dessen Musik leitete, wohl einer der populärsten und aktivsten. Seine besonders nuancenreiche feinpointierte Vortragsweise am Dirigentenpult, besonders volkstümlicher Musik, wurde bald berühmt und fand viele Nachahmer. Gelegentlich des 4. Deutschen Sänger-Bundesfestes in Wien 1890 erregten die Darbietungen der von ihm dirigierten Musikkapelle des Infanterie-Regiments Nr. 84 unbeschreiblichen Jubel und die vielen tausend auswärtigen Besucher waren voll des Lobes über die meisterhaften Leistungen dieser Kapelle.

Im Jahre 1886 wurde Komzak zu der in Wien abgehaltenen internationalen Stimmton-Konferenz als Delegierter der österreichischen Regierung entsandt und 1888 beauftragte ihn das Reichskriegsministerium mit der Neuinstrumentierung der österreichischen Volkshymne nach dem Original Joseph Haydns. Auch bei der 1891 stattgefundenen Militär-Stimmton-Konferenz spielte Komzak eine führende Rolle: auf sein Anraten hin wurde in der österreichischen Militärmusik die hohe Stimmung beibehalten, nachdem vorher die Klangwirkung einer normalstimmigen und einer hochstimmigen Militär-Marschmusik verglichen und praktisch ausprobiert worden war. Die Normalstimmung fand lediglich in den Streichorchestern der Militärkapellen Eingang. 

Komzak war also seiner maßgebenden Stellung nach quasi ein unPrnannter Armeekapellmeister. Seinen Bestrebungen gelang es auch, den seit der Auflösung der Jäger-, Kavallerie- und Artillerie-Musikbanden (1868) zu ziemlicher Bedeutungslosigkeit herabgesunkenen Kapellmeister-Pensionsverein wieder neu zu beleben und die Auszahlung höherer Pensionen zu erreichen.

Auch in den letzten beiden Dezennien der k.u.k. Armee lag die Militärmusik stets in der Obhut vorzüglicher Kapellmeister: Franz Lehar jun., Hermann Dostal, Emil Kaiser, Julius Fucik, Wilhelm Wacek, G. Mahr, um nur einige von denen zu nennen, deren Können und Wirken die hohe Leistungsfähigkeit und der Weltruf der alten k.u.k. Militärmusik zu danken war; hervorragende Künstler, die auch außerhalb der militärischen Sphäre Bedeutendes leisteten, Opern und Operetten komponierten, Sinfoniker, Klavier- und Violinvirtuosen etc. befanden sich unter ihnen.

Als im Jahre 1895 vielen Regimentern Militärmärsche, die in ihren Titeln an Feldherrn, Regimentsinhaber und an besondere Waffentaten des betreffenden Regiments erinnerten, zur Traditionspflege zugewiesen wurden, erhielt Militärkapellmeister Emil Kaiser vom Infanterie Regiment Nr. 3 den Auftrag, diese Märsche für den Druck einheitlich zu bearbeiten. Seine Neuinstrumentationen wurden vom Reichskriegsministerium unter dem Titel „Sammlung von Armeemärschen und sonstigen Kompositionen für das k.u.k. Heer" in Druck gegeben und sämtliche Regimenter mit je einem Exemplar beteilt ".

Wohl der letzte Anlaß, bei dem sich die österreichische Militärmusik neben der Militärmusik anderer Staaten erfolgreich behauptete, war die Jahrhundertfeier der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1913, wozu von allen im Jahre 1813 beteiligt gewesenen Mächten, Preußen (Deutschland), Österreich, Frankreich und Rußland militärische Abordnungen mit ihren Musikkorps erschienen waren. Obzwar die anderen Staaten durchwegs Elite-Militärkapellen von bedeutender Stärke entsandt hatten, fand bei dem an die offizielle Feier anschließenden musikalischen Darbietungen der vier Musikkorps die - zahlenmäßig schwächste - Musik des 37. österreichischen Infanterie Regiments unter der Leitung von Kapellmeister Oberthor infolge ihrer zündenden und mißreißenden Spielweise den meisten Beifall.


Übernommen von Reinhard Wieser

 

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